#Schulabschluss
Was bedeutet denn die
Vorbereitung und Durchführung eines Schulabschlusses, Anja?
Anja: Eine Menge
Arbeit, würde ich sagen.
Wieso dürft ihr
eigentlich die Vorbereitung auf einen Schulabschluss machen? Man kann ja sicher
nicht einhergehen und sagen, komm wir machen jetzt Schule und dann stellen wir
ein Zeugnis aus – das muss ja irgendwie in staatliche Systeme integriert sein.
Anja: Das ist richtig. Das wir die Vorbereitung und Begleitung des externen Schulabschlusses machen, hat sich entwickelt. Früher sind unsere Jugendlichen, die keinen Schulabschluss hatten noch in entsprechende Maßnahmen gegangen, die hierfür angeboten werden. Das war allerdings immer ein Problem, denn das was Pascal gerade gesagt hat, dass man wieder die trifft, die man eigentlich nicht treffen wollte, ist passiert. Und das hat das Erreichen des Schulabschlusses verdammt schwer bis unmöglich gemacht und war vor allem mit großen Rückschlägen verbunden. Wir haben uns dann mit dem Schulamt zusammengesetzt über das Problem gesprochen und haben dann, nach fachlicher Prüfung, im Folgenden die Erlaubnis bekommen die Vorbereitung und Durchführung der Prüfungen gestalten zu dürfen. Die Abnahme sämtlicher Prüfung erfolgt dann von einer Schule im Landkreis.
Kannst du nochmal
genau sagen, was dann bezüglich des Schulabschlusses eure Aufgaben sind?
Anja: Erstmal all das, was von Seiten eines Trägers organisatorisch zu leisten ist – Anmeldungen, Stundenkonzepte usw., dann die Vorbereitung der Schüler auf die Prüfungen, dass sie also auf jedes einzelne Prüfungsfach vorbereitet werden und zum Schluss natürlich die Beteiligung bei den Prüfungen an sich.
Vom Pascal hatten wir
gehört, dass der Unterricht 1zu1 war, ist das die Regel bei CoLab?
Anja: Einzelunterricht ist bei uns tatsächlich so gut wie die Regel. Die CoLab hat ja nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern und die, die keinen Schulabschluss haben grenzt die Zahl dann nochmals ein. Zumal wir den Abschluss tatsächlich auch nur für Jungs anbieten, die bei uns wohnen bzw. sehr eng angebunden sind. Deshalb ist das Höchste was wir mal hatten, das zwei junge Menschen den Schulabschluss parallel gemacht haben.
Ich kann mir
vorstellen, dass diese individuelle Form der Vorbereitung viele Vorteile
bietet.
Anja: Das ist sicherlich so. Wir können davon ausgehen, dass der Großteil unsere jungen Menschen, aber nicht nur unserer, sondern all jener, die den Schulabschluss extern nachholen mit dem System Schule keine sonderlich positiven Erfahrungen gemacht haben. Dadurch das das hier ein ganz anderes Konzept ist und wir hier dann an diesem runden Tisch hier sitzen um Unterricht zu machen bringt schon vom äußeren Eindruck eine andere Assoziation für den jungen Menschen. Der nächste enorme Vorteil ist natürlich, dass durch die 1zu1-Situation ein ganz anderes Eingehen auf Fähigkeiten, Stärken und Schwächen möglich ist als bei einer Schulklasse.
Das hört sich so an, dass dieses Konzept das Einzige ist, was für die jungen Menschen der CoLab zum Schulabschluss führen kann.
Anja: Ob es tatsächlich das Einzige ist weiß ich nicht, aber es ist zumindest ein sehr Gutes. Wie gesagt, das größte aller Probleme ist, wenn die Jugendlichen irgendwo außerhalb sind – und der Schulabschluss steht ja auch am Anfang im Leben nach der Sucht, da ist die notwendige Festigung noch gar nicht da. Um aber tatsächlich raus in die Welt zu gehen, braucht ein suchtkranker junger Mensch erstmal eine Stabilität in sich, das muss man erst lernen. Pascal zum Beispiel ist nach seiner Suchttherapie zu uns gekommen und wir haben dann relativ schnell mit dem Schulabschluss angefangen. Man muss wissen, dass eine Suchttherapie mit der Therapie an sich nicht abgeschlossen ist, sondern das braucht dann noch viel Stabilität, die man sich selbst aufbauen muss und das schafft man nicht in einem Umfeld mit Menschen, die ein Suchtproblem haben, sich diesem aber (noch) nicht gestellt haben oder Konsum sogar für was Normales halten.
Kannst du sagen, wie
viele junge Menschen den Schulabschluss bei CoLab schon gemacht haben?
Anja: Pascal ist
der Vierte.
Das hört sich alles
sehr aufwendig an, 1zu1-Unterricht, individuelle Betreuung des Ganzen – wie finanziert
sich das?
Anja: Das ist eine gute Frage. Nicht staatlich, denn die CoLab wird ja grundsätzlich nicht vom Staat finanziert. Wir als CoLab müssen uns immer selber um Gelder bemühen, also Spendengelder oder das was wir durch eigene Arbeit generieren. Das gilt auch für die Finanzierung des Schulabschlusses.
Worin liegen denn die
größten Herausforderungen, wenn man einen jungen Menschen zum Schulabschluss
begleitet?
Anja: Für uns als
CoLab ist das in erster Linie natürlich einmal das Finanzielle, wir müssen es
also finanziell gestemmt bekommen. Ansonsten kommt alles andere sehr auf den
jungen Menschen an. Das was ein junger Mensch mitbringt ist sehr unterschiedlich,
sowohl von seiner Geschichte, wie auch von seinen persönlichen Erfahrungen mit
dem Lernen oder seiner Leistungsfähigkeit. Daher kann ich die Frage gar nicht
pauschal beantworten.
Wie geht denn euer
System, wie gehst du damit um, wenn ein junger Mensch rückfällig wird? Das ist
ja sicherlich nicht ausgeschlossen, oder?
Anja: Rückfälle sind nicht ausgeschlossen, im Gegenteil sogar, sie gehören dazu, dass muss man einfach wissen. Wenn man mit suchtkranken Menschen arbeitet, dann ist es nicht so, dass diese aus der Therapie rauskommen und dann nie wieder konsumieren. Das ist erstmal ein langer Weg, der auch durch Rückfälle geprägt ist, weil man für sich selbst erstmal lernen muss damit umzugehen, dass man eben suchtkrank ist und da auch gewissen Versuchungen Stand halten muss. Das war jetzt noch nicht die Antwort auf die Frage, oder?
Das war vielleicht
die Einleitung dazu. Meine Frage war, wie du /ihr damit umgeht?
Anja: Wir thematisieren alles was mit Sucht zu tun hat sehr offen auch. Zum einen machen wir regelmäßige Drogentests, das ist gerade wichtig, wenn jemand neu ist, weil da das Vertrauen auch noch nicht da ist. Im Laufe der Zeit ändert sich das. Wir gehen ja mit unserem Wissen was wir über Sucht und Konsum haben offen um. Soll zum Beispiel heißen, dass die jungen Menschen, die bei uns sind wissen, dass wir wissen, dass Rückfälle zum Weg in ein suchtfreies Leben dazu gehören und damit ist ein Verstecken nicht mehr notwendig. Bei Rückfällen kann dann die Aufarbeitung des Rückfalls in Form einer Rückfallanalyse im Mittelpunkt stehen. Davon ausgehend kann eine Strategie erarbeitet werden, wie die nächste gefährdende Situation möglichst vermieden werden kann. Darüber hinaus stehen weitergehende Angebote zur Verfügung, wir selbst haben intern eine Selbsthilfegruppe, die sich regelmäßig trifft und auch suchttherapeutisch begleitet wird. Es kann aber auch eine Entgiftung in einer Klinik das Mittel der Wahl sein. Alles in allem kommt es darauf an, das offen und ehrlich kommuniziert wird. Für mich muss bei all dem natürlich immer spürbar sein, dass der junge Mensch an seinem Problem tatsächlich arbeiten will.
Das Thema Sucht ist
also hier ein offenes Geheimnis?
Anja: Das ist kein
Geheimnis, es ist Alltag für uns. Ich denke sogar, dass wenn in etablierten
Einrichtungen tatsächlich hingeschaut werden würde, man viel mehr jungen
Menschen helfen könnte.
Jetzt kann ich mir
vorstellen, dass diese Arbeit, um es mal gelinde auszudrücken, nicht ganz
einfach ist. Warum macht ihr das? Was treibt dich an hier jeden Tag wieder aufs
Neue zu stehen und diese Arbeit zu machen?
Anja: Na, das sehen wir doch gerade. Der Pascal sitzt hier drüben, hat gerade seinen Schulabschluss erreicht und fängt am 01.08. seine Ausbildung an. Das macht ja all die Rückschläge, die man natürlich hatte wett und gibt einen auch Kraft für Neues und die schwierigen Zeiten.
Vielen Dank