Die Biografien der acht von CoLab aktuell betreuten jungen Männer, alle Anfang 20, weisen etliche Parallelen auf: Zerrüttete Familien, Gewalterfahrungen, Verwahrlosung, Einkommensarmut, niedrige Bildung, Obdachlosigkeit und Suchtproblematik. Für Menschen wie sie hat sich in den letzten Jahren der Begriff „Entkoppelte Jugendliche“ geprägt. Das bedeutet, sie sind außerhalb des gesellschaftlichen Fokus. In den Augen von Benjamin (Name von der Redaktion geändert) ist abzulesen, dass er noch unter dem Eindruck von Drogen steht. Seit drei Tagen versucht er, sich von einem Rückfall zu erholen. Drogen, hier hat er das ganze Spektrum ausprobiert, prägen sein bisheriges Leben. Bereits mit neun Jahren konsumierte er erstmals Cannabis, das er von seinem älteren Bruder bekommen hatte.
Seine Eltern lebten mit ihren acht Kindern in einer Vier-Zimmer-Wohnung in einer Kleinstadt. Für Vater und Mutter empfindet Benjamin nach eigener Aussage nur Abscheu: „Für die habe ich nicht existiert, ich wurde nicht wahrgenommen.“
Zwar übten die Eltern keine körperliche Gewalt aus, die habe es aber reichlich unter den Geschwistern gegeben, erzählt er.
Da sich niemand um ihn kümmerte, verwahrloste Benjamin immer mehr, vertiefte seine Drogenerfahrung, dealte, klaute, entzog sich der Schule. Schon früh kam er mit dem Gesetz in Konflikt und landete letztlich im Gefängnis, auch weil er keine Bleibe hatte und er während des Prozesses auf drei Wachleute losgegangen war, die ihn kaum bändigen konnten. „Ich habe gewonnen“, kommentiert er das.
Eine weitere Parallele bei den Jungs ist, dass ADHS diagnostiziert wurde und sie als Kinder entsprechende Medikamente bekamen.
Die Behörden kapitulieren
Benjamin ist alles andere als ein gewalttätiges Monster. Da sitzt ein junger Mann gegenüber, der keine Lebensperspektive hat, schon öfter an Selbstmord dachte.
Auf die Frage, wie er für sich ein gutes Leben definieren würde, kommen bei ihm die gleichen Antworten wie bei seinen Schicksalsgenossen, die von CoLab betreut werden: einen Beruf – Benjamin würde gerne Fahrradmechaniker werden – eine eigene Wohnung und Familie.
Mit den SGB-VIII-Institutionen sind sie alle durch, wurden sozusagen „ausgemustert“. Die Ämter haben kapituliert, sind mit ihrem Latein am Ende.
Da setzt CoLab an. Die gemeinnützige Organisation hat ebenfalls Erfahrungen mit Jugendämtern gesammelt und sich dafür entschieden, ohne öffentliche Gelder als freie Einrichtung zu arbeiten. „Die bürokratischen Hürden standen unserem praktischen Ansatz einfach zu oft entgegen“, begründet Thomas Friedrich, einer der Gründer und CoLab-Geschäftsführer, diese Entscheidung. Der erfolgreiche IT-Unternehmer engagiert sich seit etwa zwei Jahrzehnten ehrenamtlich in der Jugendarbeit. Seine Arbeit mit Jugendlichen begann im beschaulichen Speyer in der Metropolregion Rhein-Neckar gelegen und international bekannt durch das Weltkulturerbe „Kaiserdom“. Die 50.000-Einwohner-Stadt wird von Kommunalpolitikern auch gerne als „Wohlfühlstadt“ bezeichnet. Es wird dabei ausgeblendet, dass Speyer ein regionaler Drogen-Hotspot ist. Bei vier von sieben Amtsgerichtsterminen im Mai 2021 ging es um Drogendelikte. In Speyer kümmert er sich seit vielen Jahren um junge Russlandaussiedler, die von den Jugendämtern bereits aufgegeben waren.
Auch sie hatten kein Selbstvertrauen, vertrauten generell niemand.
Der erste Schritt ist immer die Abkehr von den Drogen. „Unter Drogeneinfluss ist das Denken so gestört, dass eine sinnvolle Arbeit nicht möglich ist“, drückt es Anja Lenze aus. Sie leitet die CoLab Einrichtung „AWAG (Außen Wohn- und Arbeitsgemeinschaft) Mittelmühle“ in einem Dorf im osthessischen „Werra-Meißner-Kreis“.
Friedrich hat die ehemalige heruntergekommene Wassermühle vor einigen Jahren gekauft und saniert, um die CoLab-Schützlinge aus ihrem alten Umfeld herauszuholen. Inzwischen hat er noch weitere Häuser dazu gekauft, auch um seinen erfolgreichen AWAG-Absolventen Wohnraum anbieten zu können, den sie auf dem freien Wohnungsmarkt nur schwer bekämen.
Lebenssinn und ein Zuhause geben
CoLab gibt den jungen Menschen ein Zuhause und so etwas wie Familie, eine Erfahrung, die sie bisher nicht kannten.
Mit Anja, Tom und Uwe, wie sie die Betreuer nennen, haben sie erstmals Personen, denen sie Vertrauen.
Auch am Selbstvertrauen wird gearbeitet. Das lasse sich am besten über Arbeit aufbauen, so die CoLab-Philosophie. Praktika, aber auch einfache Arbeiten beispielsweise im Kräutergarten oder bei der Instandhaltung der Mittelmühle, sollen das Vertrauen in die vorhandenen Fähigkeiten stärken.
Bei CoLab wird Erfolg anders definiert als bei den Ämtern – da sind selbst kleine Fortschritte oft große Erfolge angesichts der Vorgeschichte der Schützlinge. Rückschläge gehören dazu.
Bisher war das CoLab-Konzept überaus erfolgreich denn es ist mehrfach gelungen, vom Staat aufgegebene junge Menschen in eine Ausbildung zu bringen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Bei CoLab wird so schnell keiner aufgegeben!
Über CoLab
CoLab arbeitet mit jungen Volljährigen, die als entkoppelte Jugendliche kommen, sogenannten „Systemsprengern“. Daher ist CoLab kein Träger der freien Jugendhilfe, ist nicht „System“. CoLab geht andere Wege, traut sich zu, etablierte Systeme zu ändern, wenn sie nicht funktionieren. Es wird offen gedacht, auch mal gegen den Strom geschwommen. CoLab ist anpassungsfähig, erfindet sich auch oft neu. Die Organisation sucht pragmatische Lösungen, handelt nachhaltig, arbeitet nah am Menschen, hilft individuell, denkt aber auf gesellschaftlicher Ebene. Die handelnden Personen stehen fest zusammen, verlassen sich aufeinander. CoLab hat ein großes Netzwerk an Fürsprechern und Mitstreitern. Auch steckt CoLab nicht in Schubladen fest und steckt andere nicht rein. CoLab springt über Hürden, ist frei in dem was getan wird.
CoLab hat eines immer fest im Blick: „Das Wohl des jungen Menschen, der sich anvertraut.“